Teil V der Interviewreihe: 25 Jahre Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. (1995-2020)
Daniel R. Bonenkamp/Takuma Melber
Interview
Veröffentlicht am: 
04. Januar 2021

Lieber Herr Prof. Clauss, der Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. (AKM) feiert sein 25-jähriges Bestehen, dessen Erster Vorsitzender Sie seit 2017 sind. Mitglied im Arbeitskreis wurden Sie im Jahr 2004. Wie sehen Ihre frühesten AKM-Erinnerungen aus? Wissen Sie noch wie Sie erstmals auf den AKM aufmerksam geworden sind und was Sie damals dazu bewogen hat, dem AKM beizutreten?

Clauss: Mein erster Kontakt mit dem AKM war die Jahrestagung 2005 in Mainz zum Thema Kriegsgräuel; im Vorfeld dieser Tagung bin ich in den Verein eingetreten. In Mainz habe ich als Habilitand einen meiner ersten militärhistorischen Vorträge gehalten. Ich erinnere mich noch gut daran, wie angetan ich von der Diskussionskultur über die Epochengrenzen hinweg war. Außerdem habe ich hier auch den Unterschied zwischen Geschütz, Kanone und Mörser gelernt, wovon ich als ehemaliger Zivildienstleistender bis dahin wenig Ahnung hatte.

 

Was glauben Sie, inwiefern war Ihre Mitgliedschaft im Arbeitskreis Ihrer wissenschaftlichen Karriere förderlich?

Clauss: Das ist im Detail natürlich schwer zu sagen, aber ich habe über den AKM viele Kolleginnen und Kollegen kennengelernt und interessante Kontakte geknüpft. Auch die Organisation von Tagungen in Kooperation mit dem AKM hat sicherlich nicht geschadet.

 

Ihre Vorgänger als Erste Vorsitzenden waren die renommierten Militärhistoriker Wilhelm Deist (1995-2002) und Stig Förster (2002-2017). Sie sind dem AKM ja in den frühen Stig Förster-Jahren beigetreten. Wie haben Sie den AKM unter seinem Vorsitz erlebt und wahrgenommen? Woran möchten Sie im Vergleich zu Ihren beiden Vorgängern als Erster AKM-Vorsitzender anknüpfen?

Clauss: Die Fußstapfen, in die ich getreten bin, sind in der Tat groß. Der AKM hat von seinen beiden ersten Vorsitzenden, ihren Kontakten, Erfahrungen und Anregungen enorm profitiert. Ich habe den AKM und den Vorstand unter Stig immer als diskussionsfreudig und meinungsoffen wahrgenommen. Gerade die ermutigende und konstruktive Haltung gegenüber dem militärhistorischen Nachwuchs hat mir immer gefallen und imponiert.

 

Möglicherweise gibt es aber auch Dinge, die Sie vielleicht verändern oder anders angehen möchten als Ihre Vorgänger. Welche sind das und welche Ziele verfolgen Sie für Ihre Amtszeit als Erster AKM-Vorsitzender in näherer oder auch fernerer Zukunft?

Clauss: Jeder Vorstand ist mit aktuellen Herausforderungen konfrontiert, wie etwa die Corona-Pandemie mit ihren Folgen für den Verein und die Wissenschaft. Für die nähere Zukunft möchte ich gern dazu beitragen, dass der Anteil von Frauen im Verein und im Vorstand wächst und dass die Militärgeschichte immer weiter aus der wissenschaftlichen Nische herauskommt, in der sie mitunter heute noch steckt. Beide Aspekte scheinen mir insofern miteinander verbunden, als dass die Anschlussfähigkeit unseres Forschungsfeldes in erster Linie durch Offenheit für neue Entwicklungen und Zugänge erreicht wird. Das Portal Militärgeschichte ist eine etablierte Plattform, die wir immer weiter ausbauen und pflegen werden. Für die Zukunft wird es darum gehen, immer neue, aktuelle und passende Formate zu entwickeln und zu bedienen, in denen der militärhistorische Austausch effizient und produktiv stattfinden kann.

 

Spaßeshalber ist in AKM-Kreisen ja auch immer wieder vom „Großen Vorsitzenden“ die Rede. Sehen Sie im Amt des Ersten Vorsitzenden eine besondere Bürde?

Clauss: Die Leitung des AKM ist eine Teamaufgabe und -leistung. Die Zusammenarbeit im Vorstand funktioniert ausgesprochen gut, kollegial und professionell, wofür ich mich an dieser Stelle bei meinen Kolleginnen und Kollegen bedanken möchte. Im Vorstand sind verschiedene Kompetenzen vertreten, die sich gut ergänzen und uns immer wieder in die Lage versetzen, schnell und konstruktiv zu Lösungen für den Verein zu kommen. Dazu gehört auch, dass die Mitglieder des Arbeitskreises dem Vorstand das Leben leichtmachen und sich produktiv und offen mit unseren Vorschlägen auseinandersetzen. Das hat sich etwa bei Debatten rund um Satzungsänderungen und Beitragsanpassungen in den letzten Jahren gezeigt.

 

Seit 2014 sind Sie an der TU Chemnitz Inhaber der Professur für die Geschichte Europas im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Ganz entgegen einiger Stereotype, die viele mit der mittelalterlichen Epoche verbinden – denken wir etwa an Ritter, die Kreuzzüge oder sonstiges Kriegs- und Schlachtengeschehen – sind mittelalterliche Militärgeschichtsthemen im AKM vergleichsweise unterrepräsentiert. Woran liegt das? Genießt die Militärgeschichte unter MittelalterhistorikerInnen etwa keine ausreichende Reputation?

Clauss: Wie in allen Epochen hinkt die deutsche Militärgeschichte zum Mittelalter ein Stück weit hinter den Entwicklungen in anderen Ländern – etwa in Großbritannien – her. Das hat in meinen Augen fachliche (Karrierechancen), außerfachliche (gesellschaftliche Stellung zu Krieg und Militär), aber keine thematischen Gründe. Die Erforschung des Krieges in einem modernen, auch kulturwissenschaftlichen Sinne ist für das Verständnis der Epoche zentral. In meiner Wahrnehmung nimmt das Interesse an Militärgeschichte, die sich von einer überkommenen Kriegsgeschichte in Verengung auf Waffen und Technik verabschiedet, mehr und mehr zu. Ich sehe immer mehr mediävistische NachwuchswissenschaftlerInnen, die zu Themen rund um Krieg und Gewaltkultur arbeiten – auch in den vom AKM unterstützten Formaten.

 

Welchen Stellenwert haben militärgeschichtliche Themenkomplexe in der universitären Forschung, aber auch in der wissenschaftlichen Ausbildung und Lehre im Bereich der Mediävistik?

Clauss: Einen stetig zunehmenden. Je mehr Handbücher, Quellensammlungen und Einzelstudien verfügbar sind, desto größer wird auch die Resonanz für militärhistorische Zugänge. Ich nehme ein großes Interesse an kriegsbezogenen Themen wahr, weil immer stärker erkannt wird, wie anschlussfähig und wichtig das Thema ist. Spezielle militärhistorische Studiengänge zum Mittelalter gibt es aber meines Wissens nach in Deutschland (noch) nicht.

 

Sie haben sich auf „Krieg im Mittelalter“ spezialisiert. War dies eine bewusst gefällte Entscheidung und wenn ja, warum?

Clauss: Diese Entscheidung ist so gefallen, wie es für viele Studien- und Berufsentscheidungen in meiner Generation typisch ist: in einer Mischung aus Interesse und Glück. Als ich 1996 für ein Auslandsjahr an die University of Durham gegangen bin, gab es im Kursangebot für das Masterprogramm auch die Möglichkeit bei Michael Prestwich ‚medieval war and warfare‘ zu belegen. Den Namen hatte ich schon mal gehört, das Thema gab es an deutschen Universitäten nicht – also habe ich mich eingeschrieben und durfte ein Jahr beim Großmeister der englischen Militärgeschichte studieren. Als ich mich dann 2001 nach der Promotion auf eine Assistentenstelle an der Uni Regensburg bewarb, suchte Hans-Henning Kortüm einen Mitarbeiter, der sich in eine Forschergruppe zum Krieg im Mittelalter einbringen konnte. Seine Wahl fiel auf mich, und so blieb ich dem Thema Krieg in meiner Habilitationszeit und seither verbunden.

 

Wie wird der Arbeitskreis Militärgeschichte, der von zum Zeitalter der Weltkriege und zur Zeitgeschichte arbeitenden HistorikerInnen dominiert wird, auch für MediävistInnen, AlthistorikerInnen oder Frühe NeuzeitlerInnen attraktiver?

Clauss: Der AKM ist schon immer ein überepochal agierender Arbeitskreis, der keine Epoche ausschließt und nach Entwicklungslinien und Vergleichen fragt. Zweifellos sind die Themen der jüngeren und jüngsten Militärgeschichte stärker repräsentiert als andere Epochen. Hier sind aber stetige Wandlungsprozesse im Gang, die vor allem auf der Erkenntnis beruhen, dass wir alle vom Austausch profitieren. Das macht den AKM auch für die vormodernen Epochen interessant, und ich habe schon sehr gute althistorische, mediävistische und frühneuzeitliche Vorträge auf unseren Jahrestagungen gehört. Derzeit sind mit Ulrike Ludwig (Frühe Neuzeit) und mir (Mittelalter) zwei der vormodernen Epochen im Vorstand vertreten, darauf lässt sich aufbauen.

 

Viele AKM-Mitglieder erinnern sich noch sehr gut an die von Ihnen mitkonzipierte AKM-Jahrestagung 2015 zum Thema „Krieg und organisierte Gewalt im Computerspiel: Militärhistorische Narrative, Räume und Geschichtsbilder“, die bei Ihnen an der TU Chemnitz stattfand. Was war das Besondere an dieser Jahrestagung und warum wird noch immer gerade diese Jahrestagung als wissenschaftlich besonders innovativ erachtet?

Clauss: Diese Tagung ist aus einem interdisziplinären Seminar hervorgegangen, das wir mit Kollegen der Medienpsychologie veranstaltet haben. Wir haben Medieval Total War1 gespielt und viel über das Medium und das Thema gelernt. Für mich war bei der Tagung zum einen ein Thema von Interesse, das mir dahin in der Militärgeschichte wenig präsent erschien. Zum anderen habe ich hier die sehr schöne Erfahrung gemacht, dass eine spezialisierte Szene, die gleichsam aus der Schnittmenge zwischen GamerInnen und MilitärhistorikerInnen bestand, sich sehr offen und kommunikationsbereit gezeigt hat. Das hat viele neue Aspekte und Horizonte eröffnet, was an der großen Pluralität von Methoden und Fragestellungen lag. Hinzu kam, dass die Tagung schon auf Grund der vielen Beispiele sehr anregend und abwechslungsreich war. In meiner Erinnerung waren Stig Förster und ich die einzigen Nicht-Gamer im Raum, und wir haben viel gelernt.

 

Ist es gerade diese Art „wissenschaftlicher Innovation“, die den AKM von anderen historischen Arbeitsgruppen und Fachkreisen unterscheidet? Und welche sonstigen Merkmale zeichnen den AKM Ihrer Meinung nach primär aus?

Clauss: Ganz sicher ist die große Offenheit für neue Trends und Ansätze eine große Stärke des AKM. Wir pflegen einen sehr offenen, ja inklusiven Ansatz: Wir sind nicht nur eine Gruppe von SpezialistInnen – das sind wir auch –, die sich untereinander austauschen will; vielmehr gehen wir sehr offen und offensiv auf neue Themen und Methoden zu und versuchen diese in ihrer Bedeutung für die Militärgeschichte zu reflektieren. So gelingt es uns immer wieder, die klassische Militärgeschichte mit neuen Impulsen zu verbinden – ich denke da etwa an die letzten Jahrestagungen zu Krieg und Krankheit oder Diversität im Militär. Darüber hinaus nehme ich den Verein als unkompliziert und wenig hierarchisch wahr. Arrivierte WissenschaftlerInnen, Nachwuchskräfte und allgemein militärhistorisch interessierte Mitglieder begegnen sich auf Augenhöhe.

 

Was erhoffen Sie sich für die nächsten 25 AKM-Jahre, wo sollte der Arbeitskreis im Jahr 2045 stehen?

Clauss: Ich möchte, dass wir in naher Zukunft (nicht erst in 25 Jahren) eine Frau an der Spitze des Vereins sehen. Dann erhoffe ich mir einen konstanten, besser noch immer größer werdenden Zustrom an jungen WissenschaftlerInnen, die uns in nicht allzu ferner Zukunft aus den Ämtern drängen werden. Wenn es 2045 den AKM noch gäbe, wäre viel erreicht. Hoffentlich aber dann in einer Wissenschaftslandschaft, in der man Sätze wie „Militärgeschichte? Dein Ernst?“ nicht mehr hört.

 

Zur Übersicht über die Interviewreihe "25 Jahre Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. (1995-2020)" (Link).

  • 1. Das vom britischen Softwareentwickler The Creative Assembly Ltd produzierte Spiel „Medieval II: Total War“ ist der vierte Teil der Strategiespielserie „Total War“ und erschien in Deutschland im Jahr 2006.