Takuma Melber
Aufsatz
Veröffentlicht am: 
15. Februar 2017
DOI: 
10.15500/akm.15.02.2017

„Die Brust schwillt vor lauter Glückseligkeit. Singapur ist gefallen, ist gefallen! Über der klaren Südsee steigt die japanische Flagge empor.“1

Schon kurz nachdem die Verteidiger der britischen Festung Singapur am 15. Februar 1942 kapituliert hatten, dichtete Saijō Yaso2 (1892-1970), zu seiner Zeit ein berühmter Lyriker im „Land der aufgehenden Sonne“, den Text für das japanische Soldatenlied „Otoshitazo Shingapōru“ (dt. „Das eroberte Singapur“). Wie allein aus der obigen Übersetzung der ersten Liedstrophe ersichtlich wird, wählte Saijō für den Liedtext im Wesentlichen Worte patriotischer Siegesfreude und des überschwänglichen Jubels. Das Militärlied, in dem auch „die Heldenseelen der für den Sieg bei der Schlacht um Singapur Gefallenen“3 gepriesen und der Anbruch eines neuen Zeitalters in Asien verkündet werden, erfreute sich nicht nur in den Reihen der japanischen Soldaten, sondern auch bei der Zivilbevölkerung im Japanischen Kaiserreich großer Beliebtheit, nachdem Japans Heer (jap. Rikugun) und Marine (jap. Kaigun) im Frühjahr 1942 weite Teile Südostasiens erobert hatten.

Am Morgen des 7. Dezember 1941 griffen von einer Trägerflotte gestartete japanische Kampfflugzeuge in zwei Angriffswellen Pearl Harbor, den Stützpunkt der amerikanischen Pazifikflotte auf Hawaii, an.4 Ungefähr zeitgleich marschierten die Einheiten der aus drei Divisionen bestehenden und circa 60.000 Soldaten (42.000 Mann an Kampftruppen) umfassenden 25. Armee Japans im Norden von Britisch Malaya ein. Der Vorstoß der unter dem Kommando von Generalleutnant Yamashita Tomoyuki stehenden Truppen entlang der West- und Ostküste der malaiischen Halbinsel hatte dabei nur ein Ziel: die florierende südostasiatische Handelsmetropole Singapur, Hauptstadt der Straits Settlements und damit britische Kronkolonie. Singapur war zur militärischen Festung ausgebaut und galt aufgrund der massiven Verteidigungsanlagen als uneinnehmbar. Das britische Verteidigungskonzept hatte für die „Löwenstadt“ in seinen militärischen Szenarien allerdings weitestgehend auf Angriffe von der Seeseite her fokussiert. Denn die militärstrategisch Verantwortlichen des Britischen Empires erachteten die von schwer überwindbaren Bergketten und unwirtlichen Dschungeln durchzogene malaiische Halbinsel als eine für eine Invasionsarmee unüberwindbare natürliche Barriere und somit als sicheres „Schutzschild“ im Norden der Insel Singapur.

Dessen ungeachtet hatte Japans umfassender Eroberungsfeldzug in Südostasien im Winter/Frühjahr 1941/42, der auf die Errichtung der in der Kriegspropaganda sogenannten „Großostasiatischen Wohlstandssphäre“ (jap. Daitōa Kyōeiken) abzielte, auch die militärische Einnahme Singapurs von der Landseite und damit vom malaiischen Festland her kommend vorgesehen: Für den Angriff auf Pearl Harbor lag Japans Kriegsplan im Wesentlichen das Überraschungsmoment in Kombination mit einem massierten Einsatz an Flugzeugträgern zugrunde. Schnelligkeit, ein Höchstmaß an Mobilität und ein hohes Aufgebot an Panzern stellten hingegen die zentralen militäroperativen Elemente des japanischen Malayafeldzugs dar. Dieser wurde als „Blitzkrieg“ (jap. Dengekisen) nach deutschem Vorbild geführt. Denn der deutschlandaffine Generalleutnant des Heeres, Yamashita Tomoyuki, und sein Stab hatten im Vorfeld des eigenen Feldzugs die Kriegführung der Wehrmacht in Europa – insbesondere die in Polen und Frankreich – akribisch studiert.

Bereits kurz nach der Truppenanlandung im Dezember 1941 nahmen japanische Einheiten die im Norden der malaiischen Halbinsel angelegten Flugbasen der britischen Royal Air Force (RAF) ein. Entweder wurden die dort stationierten RAF-Maschinen noch am Boden stehend zerstört oder unter japanische Kontrolle gebracht. Die Lufthoheit über Malaya war somit schnell in japanischer Hand. Mit der Versenkung der beiden britischen Schlachtschiffe Prince of Wales und Repulse an der malaiischen Ostküste am 10. Dezember 1941 hatte das Britische Empire schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt den Angreifern auch zur See nichts mehr entgegenzusetzen. Die Verteidigung Britisch Malayas oblag somit hauptsächlich den britischen, australischen und indischen Landstreitkräften. Diese konnten sich aber unter anderem aufgrund einer generell mangelhaft koordinierten Verteidigungsstrategie, schlechter Truppenausrüstung und -ausbildung, der in sehr hohem Tempo massiv vorstoßenden Invasionsarmee kaum erwehren. Bereits nach 55 Tagen Feldzug wehte am 31. Januar 1942 „Hinomaru“, das japanische Sonnenbanner, über den Dächern der an der Südspitze der malaiischen Halbinsel gelegenen Stadt Johor Bahru. Nur noch der Kanal zwischen Johor Bahru und Singapur trennte Yamashitas 25. Armee und die sich auf die Insel Singapur zurückgezogenen Verteidiger, insgesamt noch rund 85.000 bis 100.000 an der Zahl. Nachdem Artillerie und Luftstreitkräfte die Insel sturmreif geschossen hatten, setzten am 8. Februar 1942 Soldaten der 5. und 18. Division der 25. Armee über den Kanal über. Nachdem auch bei den Kämpfen in der Gegend um Bukit Timah, ein dem urbanen Zentrum von Singapur vorgelagertes Hochplateau, aus Sicht des Empires keine Trendwende herbeigeführt werden konnte, sah der britische Befehlshaber Lieutenant-General Arthur Percival keinen anderen Ausweg, als mit seiner Armee zu kapitulieren. Laut der offiziellen japanischen Geschichtsschreibung gerieten 95.000 Alliierte (45.000 Inder sowie 50.000 Australier und Engländer, Kombattanten und Nicht-Kombattanten) in Kriegsgefangenschaft.5 Deutlich schneller als von japanischer Seite erwartet, hatten Yamashitas Einheiten die rund 1.000 Kilometer vom Norden Malayas bis nach Singapur zurückgelegt. Hatten Japans Kriegsplaner gehofft, Singapur bis zum 10. März einnehmen zu können, war Großbritanniens Festung in Südostasien tatsächlich schon am 15. Februar 1942 und damit knapp einen Monat eher gefallen. Bis zur Kapitulation des fernöstlichen Kaiserreichs und damit bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs im Sommer 1945 blieben Singapur und Malaya unter japanischer Besatzungsherrschaft.

Entgegen den im Westen geläufigen und überwiegend von englischer Seite geprägten Darstellungen6 legt die Auswertung japanischer Quellen offen, dass für Yamashitas Invasionsarmee der Malayafeldzug und die Schlacht um Singapur alles andere als vollkommen reibungslos verliefen. Zum einen war die 25. Armee deutlich schlechter vorbereitet und hatte weitaus weniger Informationen (etwa über die Topographie der Halbinsel) im Vorfeld der Invasion gesammelt als landläufig in englischsprachigen Darstellungen zu lesen ist. Aus diesem Grund nannte etwa Stabsoffizier Tsuji Masanobu, der an den militärstrategischen Planungen der Malayakampagne maßgeblich beteiligt war, den Feldzug einen „unvorbereiteten Krieg“7. Auch wenn die alliierten Verteidiger der Armee Yamashitas kaum standhalten konnten und sich von Beginn an auf dem stetigen Rückzug gen Singapur befanden, wirkte die von ihnen betriebene „Strategie der verbrannten Erde“ (engl. scorched-earth policy) durchaus: Wie etwa Generalmajor Kawamura Saburō in seinen persönlichen Eintragungen festhielt, bereiteten vom Feind verursachte Schäden an der ohnehin nur mäßigen Infrastruktur den japanischen Invasoren durchaus Probleme. An erster Stelle verhinderte „der Kampf mit den Brücken“8, eine Umschreibung Kawamuras für die zahlreichen Reparaturarbeiten an zerstörten Brücken, einen noch schnelleren Vormarsch der japanischen Truppen. Während des gesamten Malayafeldzugs zählten die Pioniere der 25. Armee insgesamt 250 zerstörte Brücken. Auch die Erstürmung Singapurs verlief alles andere als glatt: Bei der Überfahrt japanischer Sturmtruppen von der Südspitze Malayas nach Singapur erzeugten logistische und koordinative Probleme chaotische Zustände auf Seiten der Angreifer. Diese erschienen so gravierend, dass sie bei Befehlshaber Yamashita nichts geringeres als einen heftigen Wutausbruch auslösten. Auch hatten sich auf japanischer Seite kurz vor der britischen Kapitulation durchaus Anzeichen von Kriegsmüdigkeit breitgemacht. Ebenso hatten sich große Probleme im Munitionsnachschub, ganz besonders für die Artillerie, eingestellt. Generalleutnant Yamashita befürchtete daher, dass das Kriegsgeschehen in einen intensiven Häuserkampf münden werde, die Eroberung Singapurs kurz vor dem Ziel gar scheitern könnte. In den Kapitulationsverhandlungen mit seinem Gegenüber Percival hatte Yamashita schließlich die eigene Position stärker dargestellt als sie tatsächlich war, um so die Aufgabe der britischen Verteidigung Singapurs zu erzielen.

Im Rahmen des Gedenkens an den „Fall der britischen Festung Singapur“ gibt es heute Kontroversen an Ort und Stelle: Im Mittelpunkt der Debatte befindet sich eine unter der Obhut des Nationalarchivs von Singapur stehende, neustrukturierte Museumsausstellung. Diese hat die Schlacht um Singapur, den Fall der britischen Festung und die sich daran anschließende dreieinhalbjährige japanische Okkupationszeit zum Thema. Die Ausstellung, die anlässlich des 75. Jahrestags der Kapitulation Singapurs am 15. Februar 2017 ihre Tore der Öffentlichkeit öffnet, ist in den Räumlichkeiten der ehemaligen Ford Motorenwerke in Singapur angesiedelt. Von Februar 1942 bis zum Kriegsende 1945 hatte sich hier, auf dem Ford Fabrikgelände, das lokale Militärhauptquartier der japanischen Armee befunden. Die nach ihrer Neugestaltung als „Syonan Gallery“ betitelte Museumsausstellung sorgt aufgrund der Verwendung des Terminus „Syonan“ für Kontroversen. Denn Singapur wurde von der japanischen Besatzungsmacht in Shōnan beziehungsweise Syonan umbenannt – ein Begriff der japanischen Kriegspropaganda, der sich mit „Licht des Südens“ ins Deutsche übersetzen lässt.9 Auch wenn es Widerstand gegen die problematische Bezeichnung der Ausstellung geben mag, werden mit Sicherheit zahlreiche Ortsansässige und Touristen aus aller Welt das neukonzipierte Museum von Mitte Februar 2017 an besuchen. In Zeiten, in denen altersbedingt die allerletzten Veteranen der Schlacht um Britisch Malaya und Singapur aus dem Leben scheiden, wird diese Lokalität als Ort der Erinnerung ganz besonders das Gedenken an den Fall und die Besatzungszeit Singapurs aufrecht erhalten.10

  • 1. Erste Strophe von Otoshitazo Shingapōru. Der vorliegende Artikel basiert auf der Dissertationsschrift des Autors: Takuma Melber, Zwischen Kollaboration und Widerstand: Die japanische Besatzungspolitik in Malaya und Singapur, 1942-1945, eingereicht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz 2015, hier: S. 67 ff. Eine Monographie über die japanische Besatzung der malaiischen Halbinsel und Singapurs (1942-1945) erscheint beim Campus Verlag (Frankfurt am Main) voraussichtlich im Herbst 2017.
  • 2. Die Nennung von Eigennamen japanischer Personen erfolgt hier im gesamten Text in der für Japan typischen Form: Familienname – Vorname.
  • 3. Übersetzung aus: Otoshitazo Shingapōru.
  • 4. Siehe zu Pearl Harbor: Takuma Melber, Pearl Harbor. Japans Angriff und der Kriegseintritt der USA, München 2016.
  • 5. Rikugunshō kanshū (Hrsg.), Daitōasenki [Schriftleitung durch das Kriegsministerium (Hrsg.), Kriegsgeschichte des Großostasiatischen Krieges], Tōkyō 1942, S. 52.
  • 6. An dieser Stelle seien lediglich genannt: Brian P. Farrell, The Defence and Fall of Singapore 1940-1942; Stroud 2006 und Peter Thompson, The Battle for Singapore: The True Story of the Greatest Catastrophe of World War II, London 2006.
  • 7. Tsuji Masanobu, Shingapōru: Unmei no tenki [Singapur: Der entscheidende Wendepunkt des Schicksals], Tōkyō 1952, S. 3.
  • 8. WO (War Office) 325-1, Kawamura Saburō, Daitōasensō nikki [Tagebuch des Großostasiatischen Krieges], Teil I, 6. Oktober 1941-18. Juni 1942, Eintrag vom 13. Januar 1942 (The National Archives of the United Kingdom, London).
  • 9. http://www.straitstimes.com/singapore/revamped-war-museums-name-sparks-q... (zuletzt aufgerufen am 14. Februar 2017).
  • 10. Siehe zur Ausstellung in den ehemaligen Gebäuden der Ford Motorenwerke: http://www.nas.gov.sg/moff/ (zuletzt aufgerufen am 14. Februar 2017).
Perspektiven: